Machtpositionen und Missbrauchspotenzial in sozialen Berufen
Die Arbeitsbeziehungen zwischen Fachkräften und Hilfesuchenden sind geprägt von einem Machtgefälle. Üben Personen diese Tätigkeit aus, deren Menschenbild von Vorstellungen natürlicher Ungleichwertigkeit geprägt sind, eröffnet sich ein hohes Missbrauchspotenzial. In Einrichtungen zur Erziehung und Pflege arbeiten Fachkräfte mit Menschen zusammen, die aufgrund ihrer körperlichen und geistigen Konstitution in elementaren Bereichen ihres Lebens auf fremde Hilfe angewiesen und damit besonders verletzlich sind. Dies betrifft Kindergärten wie Alten- und Pflegeeinrichtungen gleichermaßen.
Auch in Kernbereichen der sozialen Arbeit, wie z.B. in der Jugendhilfe, der Arbeit mit Geflüchteten oder mit Menschen mit Suchterkrankungen, haben Fachkräfte anhand der ihnen zugewiesenen Entscheidungskompetenzen, wie auch durch die Pflicht zur Berichterstattung gegenüber dem Kostenträger, maßgeblichen Einfluss darauf, ob zumeist existenzielle sozialstaatliche Ressourcen, wie z.B. die Bereitstellung einer Unterkunft, die Unterstützung im Aufenthaltsverfahren oder Hilfen zur Wiedereingliederung gewährt oder entzogen werden.
Ferner können durch eine sozialpädagogische Ausbildung oder ein Studium erworbene Methodenkompetenzen, z.B. Techniken der Gesprächsführung, erworbenes Fachwissen in Rechtsfragen, im Beratungswesen, sowie in der Praxis erworbenes Wissen um etwaige besondere Belastungen der Hilfesuchenden, dazu missbraucht werden, ihnen bewusst zu schaden, ihnen Unterstützung vorzuenthalten, oder aber diese politisch zu beeinflussen und zu indoktrinieren.
Extrem rechte Strategien zur Unterwanderung und Instrumentalisierung
Seit Jahren werden in der organisierten Rechten Strategien verfolgt, um soziale Berufe gezielt zu instrumentalisieren und bestehende Strukturen zu unterwandern. So rief die NPD zum Beispiel im Jahr 2010 ihre Mitglieder dazu auf, sich verstärkt in sozialen Berufen zu engagieren. Neben dem auf völkischen Ideologien fußenden Kalkül, anhand der ausgeübten Berufspraxis den eigenen Volkskörper zu stärken, verfolgt die organisierte Rechte langfristig das politische Ziel, ihren Akteur*innen unter dem Deckmantel sozialer Berufe zu gesellschaftlicher Akzeptanz zu verhelfen. Dadurch wird es ihnen ermöglicht, extrem rechten Praktiken und Ideen sowohl diskursiv, als auch in der unmittelbaren Praxis weitere Räume zu verschaffen.
Neben der Unterwanderung bereits bestehender Strukturen sozialer Professionen häufen sich in den vergangenen Jahren außerdem Bestrebungen zur Etablierung extrem rechter Parallelstrukturen. Insbesondere dort, wo sich die Folgen von Sozialabbau, Strukturwandel und ökonomischen Krisen zunehmend bemerkbar machen, nutzen extrem rechte Organisationen die Gunst der Stunde, für vermeintlich karitative Inszenierungen, wie z.B. die Einrichtung von Suppenküchen oder die Verteilung von Kleiderspenden für Bedürftige. Beispiele für solche Inszenierungen finden sich bei der Identitären Bewegung (IB) in Österreich, in Italien unter Regie der neofaschistischen Casa Pound, punktuell aber auch in Deutschland.
Getragen sind solche Hilfsaktionen nicht zuletzt von dem Kalkül völkisch-nationalistische Spaltungslinien zu vertiefen, indem bestimmte Gruppen von Hilfebedürftigen aktiv ausgeschlossen und in der Praxis offensiv gegeneinander ausgespielt werden. So propagiert etwa Der III. Weg im Rahmen einer als „Deutsche Winterhilfe“ inszenierten Kleiderspendenaktion den Einsatz für „deutsche Interessen und unser Volk“. Die zentrale Botschaft der Initiative lautet dann auch: „Erst unser Volk, dann alle anderen“. In die gleiche Kerbe schlägt ein Projekt der sogenannten „Dresdner Obdachlosenhilfe“ in Kooperation mit der völkischen Initiative Ein Prozent für unser Land (Ein Prozent e.V.) in Sachsen 1.
Über den Kreis der unmittelbar Hilfebedürftigen hinaus, können mittels solcher Inszenierungen auch Menschen angesprochen werden, welche die Angebote zwar selbst nicht in Anspruch nehmen, aber dennoch über das stete Beschwören des Konkurrenzkampfes für die extrem rechte Propaganda rekrutierbar sind.
Ein weiteres Feld der Rekrutierung wird durch Angebote wie Kinderbetreuung, Hausaufgabenhilfen oder die Organisation von Ferienreisen und Sportangeboten geschaffen, womit sich extreme Rechte nicht nur als soziale Akteur*innen inszenieren, sondern unmittelbaren Einfluss auf Kinder und Jugendliche erhalten, um sie zu indoktrinieren.
Fallbeispiele aus Marzahn-Hellersdorf
Die Freie Schule am Elsengrund
Den wohl krassesten Fall extrem rechter Einflussnahme in diesem Kontext stellen die Verhältnisse an der Freien Schule am Elsengrund in Mahlsdorf dar: Hier ist es die Schulleitung, die sich über Jahre hinweg radikalisiert und eine freundschaftliche Beziehung zu einem international bekannten und vorbestraften Schoaleugner etabliert hat.
Die Geschäftsführer*innen der Schule, die Ehepartner Britta Hackbusch und Andreas Schöpfer, waren aus Leipzig nach Berlin gekommen und hatten mit der Initiative Freie Waldorfschule Mahlsdorf / Forum Pädagogik Berlin e.V. und mit Unterstützung aus der Lokalpolitik auf die Gründung der Schule 2008 hingewirkt. In den folgenden Jahren kam es zu ersten Zerwürfnissen mit damaligen Unterstützer*innen und Eltern wandten sich an den Bund der Freien Waldorfschulen e.V., weil Hackbusch und Teile des Schulpersonals mit extrem rechten Einstellungen aufgefallen waren und entsprechende Inhalte in den Unterricht Einzug gehalten hatten. In Folge dessen kündigte der Verein den Vertrag mit der Schule und entzog ihr den Titel Waldorfschule.
Etwa zur gleichen Zeit pflegten zumindest Hackbusch und Schöpfer bereits ein freundschaftliches Verhältnis zur Familie des Neonazis und Schoaleugners Bernhard Schaub und seiner Lebenspartnerin Ute-Christiane Zielonka. Möglicherweise reicht die Bekanntschaft auf die Zeit Schaubs als Dozent am Lehrerseminar für Waldorfpädagogik in Leipzig zurück.
Der Schule ehemals nahestehende Personen berichteten davon, wie ihnen von der Schulleitung empfohlen wurde, sich mit rechten, verschwörungstheoretischen Inhalten von Anti-Zensur-Koalition (AZK), Ken KenFM Jebsen und Quer-Denken.TV zu befassen. Auf der „Konferenz“ der AZK, einem Forum für Verschwörungstheoretiker*innen, Geschichtsrevisionist*innen und Schoaleugner*innen, hatte Schaub 2010 einen Auftritt. Einem Deutschlehrer gegenüber wurde behauptet, dass es sich bei dem Tagebuch der Anne Frank um eine Fälschung handeln würde und es darum nicht im Unterricht behandelt werden könne 2. Bildungsinhalte zum Thema Nationalsozialismus werden an der Schule systematisch ausgeblendet.
Bevor die Familie Schaub-Zielonka 2013 in Berlin-Mahlsdorf unter Gleichgesinnten jenes Umfeld gefunden hat, wonach sie lange gesucht hatte, ging eine Reihe von Abweisungen und Schulwechsel in der Schweiz und Deutschland voran. Als die beiden Kinder im November 2010 erneut von einer Waldorfschule verwiesen worden waren, verfassten die Eltern Offene Briefe, in denen sie eine Hexenjagd inszenierten und um Solidarität warben. Schaub schrieb in einem dieser Briefe:
„[…] Sie können aber auch andere Waldorfschulen informieren und sich dort beschweren. Die stecken alle unter einer Decke – wie man vor ein paar Jahren gesehen hat, als die Braunschweiger Schule nicht nur ihren Geschichtslehrer Andreas Mohlau entließ, der für die NPD arbeitete, sondern auch dessen Kinder aus der Schule warf. Wenn wir uns jetzt nicht gegen die Tyrannei einsetzen, kann es bald zu spät sein. Deswegen jetzt mit aller Kraft voran! Die EUROPÄISCHE AKTION führt zur Freiheit!“
Wie einem Brief Schaubs an die Schulleiter*innen Hackbusch und Schöpfer, der im Rahmen einer kürzlich ausgestrahlten Dokumentation 2 öffentlich wurde, zu entnehmen ist, war Schaub 2013 auf der Suche nach einem Haus mit Grundstück in Brandenburg:
„[…] Mit dem Hauskauf durch den Verein sind wir ebenfalls noch nicht weiter gekommen, aber das liegt auch am Bedürfnis, dass wir für unsere kulturellen Zwecke ein großes Gelände ohne direkte Nachbarn brauchen – und das gibt es am Rande von Berlin zu dem Preis, der für uns drinliegt, kaum. […]“
(sic!)
Welche kulturellen Zwecke gemeint sind, lässt sich erahnen, wenn man sich die engen Verflechtungen der Familie Schaub-Zielonka mit völkischen Siedler*innen wie den Artamanen oder den Ludendorffern sowie dem extrem rechten Jugendverband Sturmvogel – Deutscher Jugendbund anschaut. Ihre Kinder nehmen regelmäßig an den Zeltlagern und Tanz-/Veranstaltungen der konspirativ organisierten völkischen Szene teil.
Spätestens seit Sommer 2019 hat die Schule bzw. der Verein Forum Pädagogik Berlin e.V. den ehemaligen Rosalindenhof in der Gerhart-Hauptmann-Straße 33 in Grünheide OT Kagel bei Erkner übernommen und dort bereits mindestens eines ihrer regelmäßigen Volkstanzfeste veranstaltet, bei dem auch die Familie Schaub-Zielonka nicht fehlen durfte. Es ist zu befürchten, dass dieses Anwesen in Zukunft vermehrt für völkische Treffen und Feste genutzt werden wird.
Ein ausgesprochener Freund des Volkstanzes, der extrem rechte Videoblogger und bekennende Antisemit Nikolai Der Volkslehrer Nerling, war am 4. April 2019 bei einer Theatervorstellung an der Freien Schule am Elsengrund – auf Einladung der Schulleitung.
So wächst schließlich zusammen, was zusammen gehört. Es ist allerhöchste Zeit, dass diese Schule geschlossen wird.
Marcel Herse
Im Sommer 2019 wurde bekannt, dass der Sänger der extrem rechten Bands Tätervolk/TotalVerlust und Marci & Kapelle 3, Marcel Marci Herse, als Erzieherhelfer in der Marzahner Kita Die Bergzwerge am Glambecker Ring angestellt ist und seit 2017 mit Kindern im Alter zwischen 2 und 6 Jahren arbeitet.
Herse, Jahrgang 1983, ist (oder war) langjähriges Mitglied der Berliner Neonazi-Bruderschaft Vandalen – Ariogermanische Kampfgemeinschaft, welche seit Jahrzehnten über wesentlichen Einfluss im internationalen RechtsRock-Geschäft verfügt. Seine häufigen Auftritte bei Veranstaltungen der NPD bezeugen zudem seine Nähe zu der extrem rechten Partei.
Gerüchteweise sollte der zuvor als Dachdecker und Zimmerer im Betrieb eines überregional bekannten Neonazis angestellte 4 nach dem Abschluss seines Fernstudiums zum Kitaleiter gemacht werden und wurde schon 2019 zu repräsentativen Terminen entsandt. So stellte er Ende Februar 2019 beim Treffen des Bezirkselternausschuss Kita (BEAK) Marzahn-Hellersdorf das Projekt „Wenn Jungen und Mädchen kloppen wollen…“, ein Anti-Gewalt-Training für Kitakinder vor, welches er mit durchführte. Dass Herse selbst gerne mal kloppen will, erlebten die Anwesenden der antirassistischen Mahnwache nahe der Unterkunft für Geflüchtete in der Carola-Neher-Straße am frühen Morgen des 22. August 2013, als er sie mit zwei weiteren rockerähnlichen Gestalten bedrohte und zu einer körperlichen Auseinandersetzung aufforderte 5.
Diese, für einen unqualifizierten Angestellten ungewöhnliche Förderung, verdankte er dem Geschäftsführer der Trägergesellschaft der Kita (Plattenverbund 2014 gUG), Alexander Lange. Dieser hatte neben seiner Frau auch seine Schwester in der Kita untergebracht, welche wiederum mit Herse zusammenlebt. Herse und Lange sind nicht nur Nachbarn in Marzahn, sondern sollen in der Vergangenheit auch gemeinsam zum Schießstand gegangen sein. Wie stark die Bande ist, lässt sich daran ermessen, dass trotz zunehmendem Druck durch Angestellte, Eltern und bezirkliche Institutionen, Herse noch monatelang angestellt geblieben ist, obwohl es bereits zuvor wegen ihm, im Zusammenhang mit einem Anschlag auf eine Geflüchtetenunterkunft in Marzahn, zu einem Polizeieinsatz in der Kita gekommen war. Erst im Dezember 2019 verließ er die Kita gemeinsam mit seiner Partnerin.
Seitdem scheint Marcel Herse auf der Suche nach einer neuen Anstellung als Erzieher zu sein. Vielleicht in der Hoffnung, dass seine einschlägige Biografie über die Bezirksgrenzen von Marzahn-Hellersdorf hinaus nicht bekannt geworden ist, bewarb er sich zum 1. September 2020 bei einer Friedrichshainer Kita, deren Trägerverein sich die Inklusion als zentrale Leitmaxime gesetzt hat. Der Versuch scheiterte und wurde publik.
Daniela Fröhlich
Daniela Fröhlich, Jahrgang 1975, ist seit Mitte der Neunzigerjahre in der Berliner Neonaziszene aktiv und auch einschlägig vorbestraft. Gemeinsam mit ihrem Bruder Mathias Fröhlich (geboren 1980) war sie Ende der Neunzigerjahre führende Figur der Kameradschaft Mahlsdorf und bei mehreren extrem rechten Demonstrationen in Berlin mit der Bereitstellung von Lautsprecherwagen betraut 6.
Bei der bezirklichen Informationsveranstaltung zur Eröffnung der Geflüchtetenunterkunft in der Carola-Neher-Straße in Hellersdorf am 9. Juli 2013, dem sogenannten „Braunen Dienstag“, war sie (zusammen mit ihrer Mutter Gabriele Fröhlich) nach Jahren wieder in Erscheinung getreten. In den folgenden Monaten war sie maßgeblich an der Organisierung der Proteste gegen Geflüchtetenunterkünfte im Bezirk beteiligt sowie überregional als Vertreterin für das „Hellersdorfer Modell“, als Positivbeispiel rassistischer Mobilisierung, auf diversen Demonstrationen und Kundgebungen als Rednerin zugegen. Hier vertrat sie dezidiert nationalsozialistische und rassistische Positionen 7. Auf bundesweit mobilisierten Neonaziaufmärschen mit großer Bedeutung für die Szene, wie dem „Tag der deutschen Zukunft“ 2015 in Neuruppin oder dem „Rudolf-Heß-Gedenkmarsch“ 2017 in Berlin-Spandau, war sie mit ihrem Bruder zugegen, schien allerdings sehr darauf bedacht, bloß nicht fotografiert zu werden.
Dass sich an ihrer Weltanschauung seither nichts geändert hat, zeigte sich für Beobachter*innen auch am 1. September 2018 (Jahrestag des Überfalls auf Polen), als Daniela Fröhlich im Tresenraum des Viwa (einem mittlerweile geschlossenen Neonazi-Treffpunkt am U-Bahnhof Cottbusser Platz) lautstark das verbotene Horst-Wessel-Lied mitsang 8.
Seit mehreren Jahren arbeitet die extrem rechte Aktivistin als Altenpflegerin im Wohnpark am Rohrpfuhl in Mahlsdorf. Ihre einschlägige Biografie als Anti-Antifa- und Kameradschaftsaktivistin sowie ihre führende Rolle bei den rassistischen Mobilisierungen der Jahre 2013 bis 2016, scheint für ihre Arbeitgeberin, die Pflegewohnzentrum Kaulsdorf-Nord gGmbH, bedauerlicherweise kein Problem darzustellen.
Weitere Fälle
Vier weitere extrem rechte Frauen, welche sich seit 2013 regelmäßig an den rassistischen Protesten in Marzahn-Hellersdorf beteiligt haben, sind ebenfalls in der Altenpflege beschäftigt. Sinead Grund, Nicole Hergt und Anja Neubauer arbeiten in der Senioren-Pflegeeinrichtung von Vivantes in der Rhinstraße in Marzahn. Anja Neubauer ist dort mittlerweile zur Pflegedienstleitung aufgestiegen.
Als gut befreundete Paare waren Anja Neubauer mit ihrem Ehemann Sven Neubauer sowie Nicole Hergt mit ihrem damaligen Partner, dem Gewalttäter Patrick Krüger, oft gemeinsam auf Neonaziaufmärschen unterwegs. So auch am 26. Oktober 2013 bei der Demonstration unter dem Motto „Tag der Meinungsfreiheit“ in Hellersdorf, welche für die Bürgerinitiative […] Marzahn-Hellersdorf (BMH e.V.) von Ines Teßmer angemeldet wurde. Sinead Grund war Ordnerin auf dieser zum Großteil von Neonazis getragenen Veranstaltung.
Ines Teßmer (geborene Nietz, Jahrgang 1971) war in Begleitung ihres Ehemannes Roy Teßmer und hatte – trotz der Beteuerungen, selbst nicht rechts zu sein – keine Scheu, sich mit gewaltbereiten Neonazis und Rassist*innen in der BMH zu organisieren und später an NPD-Kundgebungen im Bezirk teilzunehmen. Am 7. Oktober 2014 war sie zusammen mit Andreas Käfer (Kreisvorsitzender und seit November 2017 Landesvorsitzender der NPD), Daniela Fröhlich, Kai Schuster, René Uttke und weiteren stadtbekannten Neonazis an dem versuchten Eindringen in die Hellersdorfer Begegnungsstätte LaLoka beteiligt. Sie arbeitet heute ebenfalls beim Berliner Klinikkonzern Vivantes.
Verantwortung im Umgang mit extrem rechter Unterwanderung
In der Ausbildung
„Auch wenn dieses Problem nicht auf unseren Hochschulstandort begrenzt ist, wird es bislang meist beschwiegen.“
Lehrende der BTU Cottbus-Senftenberg, Frühjahr 2020
Extreme Rechte, die sich soziale Professionen zu Nutze machen, fallen rückblickend zwar immer wieder auf, werden allerdings selten an den jeweiligen Fachhochschulen, Hochschulen und Universitäten thematisiert. Noch seltener erfolgt dies ohne vorherigen Druck von außen, wie zum Beispiel an der BTU Cottbus-Senftenberg. Während die Hochschulleitung zu dem Fall in der Öffentlichkeit beharrlich schweigt, sah sich eine kleine Gruppe von Lehrenden des Instituts für Soziale Arbeit im Februar 2020 zu einer Stellungnahme 9 zum „Umgang mit rechtsextrem organisierten Studierenden“ veranlasst, nachdem intern bekannt geworden war, dass ein leitender Kader der neofaschistischen Identitären Bewegung an der BTU einen Studienabschluss der Sozialen Arbeit anstrebt. Die Unterzeichner*innen betonen zwar den Widerspruch von „Personen, die ein rechtsextremes Weltbild propagieren und sich in entsprechen Gruppen engagieren“ zu „grundlegenden fachlichen und professionsethischen Standards Sozialer Arbeit“ und warnen vor den „Risiken des Machtmissbrauchs in asymmetrischen Arbeitsbeziehungen“, gleichwohl sehen sie sich als Institution letztendlich nicht in der Lage, den postulierten Widerspruch in der Praxis aufzulösen, zwischen dem Schutz derer, die an der Hochschule und in den späteren Berufsfeldern potenziell von Gewalt, Bedrohung, aber auch Indoktrination durch extreme Rechte gefährdet sind und dem Grundrecht auf „Bildung und Ausbildung“ eines faschistischen Kaders.
So bleibt zu befürchten, dass die Auseinandersetzung an der BTU, neben dem Angebot einer diskriminierungskritischen Ringvorlesung und gesteigerten Bemühungen zur Sensibilisierung der übrigen Studierendenschaft, für den Betreffenden selbst keine weiteren Konsequenzen nach sich zieht. Ein Verweis scheint aussichtslos („[…] können – und wollen – wir nicht […]“) und auch die Identität des aktiven IB-Kaders wurde in der Debatte bis zuletzt nicht offen gelegt.
Im Beruf
Kaum mehr zu erwarten haben extreme Rechte, die bereits in sozialen Berufen Fuß gefasst haben. Selbst wenn öffentliche Bekenntnisse zu extrem rechten Positionen oder Hinweise auf aktive Mitgliedschaften in extrem rechten Organisationen im Betrieb die Runde machen, hat dies selten zur Folge, dass Arbeitgeber*innen proaktiv gegen extrem rechte Mitarbeitende vorgehen. Zu weit verbreitet ist die Haltung, dass politische Aktivität die Arbeitgeber*innen grundsätzlich nicht zu interessieren habe, so lange sie im betrieblichen Kontext zumindest vordergründig nicht in Erscheinung tritt. Auch wenn Arbeitgeber*innen einen Handlungsbedarf erkennen, scheuen sie sich oft das Thema anzugehen, um kein öffentliches Aufsehen zu erzeugen und den Betrieb aus den negativen Schlagzeilen heraus zu halten. Ferner werden oft Zweifel angeführt, ob arbeitsrechtliche Sanktionen wie Abmahnungen und Kündigungen vor einem Arbeitsgericht Bestand haben könnten – hier überwiegt das Motiv ein Klagerisiko um jeden Preis zu verhindern. Und so bleibt es beim Status Quo.
Denn grundsätzlich gestattet es das Arbeitsrecht in Deutschland auch extrem rechten Akteur*innen außerhalb des Betriebes als Sympathisant*in, Aktivist*in oder Redner*in extrem rechter Organisationen öffentlich in Erscheinung zu treten. Es müssten erst Straftatbestände, mindestens von der Schwere einer Volksverhetzung o.ä., im Raum stehen oder weitere Umstände hinzutreten, in deren Folge die berechtigten Interessen des Unternehmens Schaden nehmen. Zum Beispiel indem der Ruf eines Unternehmens durch öffentliche Berichterstattung, Proteste und öffentlichkeitswirksame Aktionen derart in Mitleidenschaft gezogen wird, dass der Geschäftsbetrieb nachweislich darunter leidet.
Ansätze für arbeitsrechtliche Schritte liegen außerdem vor, wenn extrem rechte Äußerungen und Verhaltensweisen (auch unterhalb der Schwelle von Straftaten) innerhalb der professionellen Tätigkeit zu Tage treten. Dies setzt allerdings voraus, dass es sich um ein betriebliches Umfeld handelt, in dem Kolleg*innen, Hilfesuchende, Angehörige und Vorgesetzte Willens, aber auch in der Lage sind, entsprechende Chiffren zu erkennen, kritisch einzuordnen, zu dokumentieren und zu skandalisieren. Auch hier liegt es letztendlich wiederum am Problembewusstsein und an der Konsequenz des Trägers bzw. der Geschäftsführung, alle Beteiligten zu sensibilisieren, vorhandene Ansatzpunkte für arbeitsrechtliche Schritte entsprechend zu nutzen und auch ein mögliches juristisches Nachspiel nicht zu scheuen.
Antifaschistische Intervention schafft Handlungsdruck
Antifaschistische Outings und Recherchen stellen oftmals nur einen ersten Schritt dar, bei der Erzeugung des notwendigen Handlungsdrucks. Dass es zu einer Zurückdrängung extrem rechter Akteur*innen ausreichen würde, Arbeitsstellen, Institutionen und Teile der Öffentlichkeit über entsprechende Aktivitäten zu informieren, erweist sich in vielen Fällen als Trugschluss. Die Gründe, die einen Status Quo zementieren, sind vielfältig, doch in der Praxis bedeuten sie oft: Ohne äußeren Druck folgen keine praktischen Konsequenzen. So bedarf es letztendlich eines langen Atems und eines breiten Repertoires an antifaschistischen Aktionsformen, um den erforderlichen Druck aufrecht zu erhalten und ihn, wenn notwendig, weiter zuzuspitzen, bis praktische Konsequenzen erfolgen.
Exemplarisch zeigt sich dies am Fall 10 der ehemaligen Vorsitzenden der NPD-Frauenorganisation RNF (Ring Nationaler Frauen), Maria Fank, die sich im Jahr 2013 an einem privaten Bildungsträger in einer Ausbildung zur Altenpflegerin in Berlin befand. Auch während ihrer Ausbildung trat sie auf Veranstaltungen der militanten Berliner Neonaziszene als Rednerin in Erscheinung und war am Schüren einer Pogromstimmung gegenüber Geflüchteten auch in Marzahn-Hellersdorf beteiligt.
Als kurz vor den Sommerferien ein Outing im Internet erschien, in dem auf die extrem rechte Funktionärin in der Rolle einer angehenden Fachkraft hingewiesen wurde, verstrichen mehrere Monate, ohne eine erkennbare Reaktion. Anfragen von linken Journalist*innen und zivilgesellschaftlichen Initiativen wiegelte die Schulleitung bis zum Herbst konsequent ab. Erst im Oktober, nachdem innerhalb weniger Wochen zuerst um die Einrichtung herum Outingplakate verklebt worden waren, dann der Eingangsbereich mit Parolen besprüht wurde und schließlich ein linkes Bündnis zu einer ersten Kundgebung aufgerufen hatte, sah die Schulleitung sich zunehmend unter Druck gesetzt. Mit Ankündigung der Kundgebung begannen auch Teile der Berliner Tagespresse über den Fall zu berichten. Während der Kundgebung setzte die Schulleitung den Ausbildungsbetrieb kurzerhand aus: Ein geregelter und vor allem sicherer Schulbetrieb ließe sich ihrer Ansicht nach nicht garantieren. Erstmals wurde der Funktionärin in diesem Zusammenhang mit einer Kündigung gedroht. Angesichts der nun in der Öffentlichkeit zunehmend sichtbaren Auseinandersetzung, sahen auch Mitstudierende sich zu einer immer deutlicheren Positionierung gegen ihre neonazistische Mitschülerin ermutigt. Die Ankündigung weiterer Kundgebungen und einer Antifa-Demonstration ließ die Schule auch im Dezember nicht zur Ruhe kommen. Die beharrliche Konsequenz der aufgeführten Aktionen hatte schließlich zur Folge, dass die Schulleitung die extrem rechte Funktionärin angesichts der antifaschistischen Proteste als zunehmende Bedrohung für einen geregelten Ausbildungsbetrieb wahrnahm, woraufhin sie sich schließlich gezwungen sah, Maria Fank Anfang 2014 mit Nachdruck vor die Tür zu setzen.
In diesem Sinne fordern wir die genannten Arbeitsstellen auf, sich öffentlich zum Umgang mit extrem rechten Mitarbeiter*innen in helfenden Berufen zu positionieren, das Arbeitsumfeld zu sensibilisieren und vorhandene Ansatzpunkte für arbeitsrechtliche Konsequenzen restlos auszuschöpfen.
Als Antifaschist*innen werden wir die Thematik extreme Rechte in sozialen Berufen auch weiterhin kritisch begleiten und behalten uns weitere Interventionen vor.
2 | Dokumentation „Wenn Rechtsextremisten freie Schulen unterwandern“ von Caterina Woj und Andrea Röpke; Die Story, WDR; Erstausstrahlung am 27.01.2021
3 | https://gamma.noblogs.org/archives/482
6 | Nachweislich am 5. Dezember 1998 auf der „Schwerdt-Demo“ der NPD in Tegel, am 1. Mai 2001 bei der NPD-Demo in Hohenschönhausen und am 1. Dezember 2001 bei der NPD-Demo im Berliner Norden.
7 | Zum Beispiel am 16. November 2013 bei einer Kundgebung der Partei Die Rechte in Oderberg.
8 |
10 | https://www.belltower.news/brandstiftung-durch-worte-maria-fanks-gefaehrlicher-berufswunsch-36620/